Auszüge aus der Abschlußarbeit A.K.T® von Jürgen Braun, Steyr, Österreich

Vorab möchte ich mich dem oft verwendeten Begriff SystemsprengerInnen widmen. Dieser beschreibt Kinder deren besonders herausforderndes Verhalten, immer wieder dazu führt das sie in keiner Form der Betreuung zu halten sind. Menno Baumann, der sich in Studien und auch in der tatsächlichen Betreuung dieser Kinder, mit diesem Thema beschäftigt, veröffentlichte zwei wissenschaftliche Bücher mit dem Titel „Kinder die Systeme sprengen (Bd.1 und Bd.2)“.

Basierend auf diesen Büchern, wurde ein sehr erfolgreicher Film gedreht mit dem Titel „Systemsprenger“. Da dieser Film in der Sozial Landschaft für sehr viel Aufsehen sorgte, weil er auf harte aber ehrliche Weise die Probleme solcher Betreuungen aufzeigte, hat sich der Begriff SystemsprengerIn verbreitet und wurde zum Synonym für Kinder mit besonderen Verhaltensweisen und auch Bedürfnissen.

In meiner Tätigkeit als Betreiber übergreifender Sozialpädagoge durfte ich in den letzten Jahren viele dieser Kinder kennen lernen und auch begleiten. Auffallend war aber stets, wohin man auch gerufen wurde, plötzlich waren sie überall, die Systemsprenger! Man kann bis jetzt fast meinen es wäre eine neue und zusätzliche Form der Stigmatisierung. Die Landschaft ist voll von hyperaktiven, traumatisierten und bindungsgestörten SystemsprengerInnen, zumindest wenn man den Fallanfragen glauben möchte, die uns in den letzten Jahren erreicht haben.

Aber ist dem wirklich so? Ja diese Kinder zeigen tatsächlich Verhaltensmuster, welche nur schwer zu handhaben sind. Sie neigen zum Ausagieren von körperlicher Gewalt (auch gegen BetreuerInnen), zu massiver Suizidalität, zeigen schwere entwicklungspsychologische Defizite, befinden sich im Graubereich zwischen Kinder und Jugendhilfe sowie Chancengleichheitsgesetz Substanz Missbrauch, Abgängigkeiten, usw.

Dennoch verwehre ich mich dem Begriff SystemsprengerIn ein Stück weit, da er zu einer Entschuldigung für pädagogisches Scheitern geworden ist. Es sind die Systeme die sich ändern müssen um nicht gesprengt zu werden. Je starrer die Regeln und der Rahmen, desto heftiger die Eskalationen. Flexibilität, Kreativität und Neugier sind gefragt, um mit diesen Kindern arbeiten zu können. Und Respekt, viel Respekt vor deren Lebenswelt, auch wenn sie uns noch so unverständlich ist.

Was würde aber nun so ein System brauchen um den Bedürfnissen dieser Kids gerecht zu werden? Die Erfahrungen haben uns gezeigt, dass es wohl darum geht welche Haltungen ein Team bereit ist einzunehmen und gegebenenfalls auch zu verändern. Diese Kinder brauchen stabile, ehrliche Beziehungen, welche nicht an zu viele Bedingungen gekoppelt sein sollten. „Wenn/ Dann“ Pädagogik hat sich ebenso wenig bewährt wie Revanchismus.

Die BetreuerInnen müssen die Bereitschaft haben immer wieder ihre Zugewandtheit zu zeigen, auch nach hoch eskalativen Situationen. Hierbei ist aber auch die Selbstfürsorge der Einzelnen wichtig um nicht auszubrennen.

Im A.K.T® sind es die Qualitäten des Bären die dem entsprechen. Ebenso wie diese Stabilität braucht es aber auch Visionen und Ziele. Herkömmliche Lebensmodelle sind, manchmal nicht genug um den Kindern eine Perspektive zu bieten. Die Fähigkeit und der Wille weit entfernte Ziele zu entdecken und diese gemeinsam zu erreichen, erfordert viel Durchhaltevermögen. Diese Qualitäten finden wir im Bild des Kranichs. Durchhaltevermögen braucht es aber auch in alltäglichen Situationen und Konflikten. Bei aller Zugewandtheit müssen die eigenen Grenzen verteidigt und verständlich gemacht werden. Da sein auch wenn es nicht angenehm ist und sich auf adäquate Weise wehren zu können, braucht es immer wieder in diesem Kontext. Der Tiger liefert uns hierzu vieles an Handlungsmöglichkeiten. Letztlich muss es aber auch die Bereitschaft geben sich immer wieder zu erneuern. Sich abgrenzen, sich lösen, sich trennen, von Situationen und Problemen, aber auch von eigenen festgefahrenen Mustern.

Lebensfreude und Zufriedenheit mit sich selbst ist unglaublich hilfreich, um diesen Kindern zu zeigen das die Welt der Erwachsenen auch lebenswert sein kann. Diese Erfahrung durften viele von Ihnen im familiären System bisher nicht machen. Zusammenfassend braucht es also vier Tugenden.

Warmherzigkeit, Wachsamkeit, Wehrhaftigkeit, Wendigkeit

Es sind also nicht nur die Kinder, denen A.K.T® gut tut. Die BetreuerInnen, die SozialarbeiterInnen, die Eltern und alle für das Kind relevanten Bezugspersonen, profitieren von der Haltung die das A.K.T® vermittelt. Aus Oje wird dann Aha, aus Wissen wird Fragen, was zu einem gemeinsamen Verständnis der Bedürfnisse des Kindes führt und auch zu einer gemeinsamen Sprache.

Das erste gesprengte System

Die meisten der Kinder welche ich begleitet habe und aktuell begleite, haben eine Biographie getragen von Beziehungsabbrüchen und inadäquaten Beziehungsangeboten. Sie erleben bereits in sehr frühen Jahren Gewalt durch Personen die eigentlich eine beschützende Funktion haben sollten. Diese Gewalt ist nicht immer rein körperlicher Natur. Emotionale Deprivation ist eines der großen Themen in diesen Fall Verläufen.

Oft liegen im familiären System pathologische Muster vor. Es finden sich häufig Diagnosen wie: Borderline, Bipolar, Suchtkrank, usw. Die Kinder erleben wiederholt eine Affektinkongruenz. Dies soll heißen, dass innere primäre Zustände nicht verständlich nach außen transportiert werden. Bezugnehmend auf Gespräche, mit zuständigen ÄrztInnen am Neuro Med Campus in Linz, unterscheiden sich die Muster der Kinder entsprechend den Diagnosen ihrer Eltern. Die Psychiatrie ist der Auffassung das es für diese Kinder notwendig ist, authentische Affekt/ Emotionskongruenz zu erleben. Interessanterweise sind die betroffenen familiären Systeme sehr lang in der Lage die immer auffälligeren Verhaltensweisen der Kinder zu tragen. Erst der Kontakt mit externen Systemen (Kindergarten, Schule), zeigen dann die tatsächliche Problematik auf.

Diese externen Systeme haben keinen erlernten Umgang mit den Besonderheiten der Kinder und scheitern erstmal in der Betreuung. Zu groß sind die Defizite im Sozialverhalten, was sich anhand einer Darstellung der entwicklungspsychologischen Schritte leicht nachvollziehen lässt. Die Kinder können mit den angebotenen Formen der Interaktion nicht umgehen und verlieren schnell die Lust sich in Schule oder Kindergarten anzupassen. Sie stören den Unterricht, sind verbal und körperlich übergriffig und schaffen es so das erste Mal mit einer

Suspendierung „belohnt“ zu werden. Natürlich wollen Kinder gefallen, aber die Fremdartigkeit der sozialen Anforderungen im Alltag machen ihnen dies unmöglich. Die Schule ist in den seltensten Fällen in der Lage sich strukturell an die Bedürfnisse der Kinder anzupassen. Die Kinder sortieren diese Erfahrung oft ebenfalls als Inkongruent ein.

Die Schule will das ich da bin, andererseits hält mich keiner aus. Unterrichtszeiten werden verkürzt, die Kinder werden isoliert und in Nebenräumen beschult, wo sie oftmals mit
Ihresgleichen zusammen sind, bis es letztlich zur Suspendierung kommt.
Kinder mögen es aber in Wahrheit nicht rausgeworfen zu werden, weshalb sie einen Selbstschutzmechanismus entwickeln.

Durch mein Verhalten treffe ich die Entscheidung, wann die Beziehung endet. Der Druck auf die Eltern wächst indessen immer mehr.

Die Schulsozialarbeit tut ihre Pflicht und es folgen erste Meldungen an die Kinder und Jugendhilfe. Dieser Druck auf die Eltern sorgt aber meist nicht für eine Verbesserung der Situation im familiären System. Die Eltern bleiben weiterhin in ihrer Affektinkongruenz. Trauer und Angst keimen im Innen auf und können dem Kind wiederum nicht adäquat
transportiert werden.

Die Kinder bekommen immer mehr das Gefühl „Ich bin nicht gut, so wie ich bin“ und der innere Druck sorgt für immer mehr Eskalationen auch zuhause. Zu diesem Zeitpunkt haben diese Kinder oft das System Schule schon gesprengt. Es wird fieberhaft nach Lösungen gesucht, aber ohne die Bereitschaft sich dem Kind anzupassen. Die installierte mobile Betreuung wird vom gesamten familiären System abgelehnt, da sie als Bedrohung empfunden wird und letztendlich rückt der Tag näher an dem entweder das Amt oder sogar die Eltern (da sie überfordert sind) entscheiden: Das Kind muss in eine Wohngruppe.

Was die WG dann alles besser macht

In aller Kürze: Meist nicht viel. Die Problematiken bleiben bestehen. Die Unterrichtspflicht gilt weiter, das Kind will eigentlich wieder zu den Eltern und nachdem es gelernt hat, dass man durch nicht angepasstes Verhalten wegkommt, probiert es dieses Muster weiter aus. Tagesstruktur und Schulbesuch werden zum täglichen Spießrutenlauf und bald schnauft das gesamte Team unter der Belastung. Je nachdem wie viele Systeme zuvor bereits aufgegeben haben, lernen die Kinder schnell immer neue Tools. Wenn dann erstmals auf das zwei Jahre jüngere Mitbewohner Kind hingeschlagen wird, nimmt die Dynamik wieder Fahrt auf. Auch sexuelle Übergriffe sind ein Mittel um aus der ungewollten Situation zu entkommen. Die BetreuerInnen bemühen sich zwar immer wieder aufs Neue Zuneigung zu zeigen, aber das Verhalten des Kindes macht dies immer schwieriger.

Es ist also auch kein Wunder, wenn dann wieder die Situation entsteht: „Wir mögen dich zwar, aber aushalten tun wir das nicht.“ Es spricht keiner aus und genau dies führt zu einer erneuten Affektinkongruenz. Zwar gilt die Haltung „ächte die Tat, achte den Täter“, aber was, wenn aufgrund von Entwicklungsdefiziten, mein gegenüber diese Trennung nicht nachvollziehen kann? Wie kann dies spürbar gemacht werden und nachgenährt werden um einen psychologischen Reifungsprozess zu fördern?

Hier helfen uns die Körperübungen aus dem A.K.T®. Aber ebenso wie bereits bei der Haltung und den Tugenden, ist es nicht genug mit den Kindern zu üben um sie „zu verändern“. Das gesamte System muss sich damit auseinandersetzen, um eine positive Entwicklung zu erreichen.

Die Vier Tiere in der Praxis

Nachdem nun versucht wurde, zu erklären mir welchen Dynamiken wir es zu tun haben und wie A.K.T® dabei hilfreich sein kann, konzentriert sich der folgende Teil auf die Vier Tugenden, die vier Tiere und deren Qualitäten und zeigt konkrete Übungen auf mit denen gearbeitet werden kann. Bevor wir aber damit beginnen können, müssen wir kurz noch etwas über die vier Ebenen erfahren, auf welchen wir lernen und reflektieren werden. Diese sind:

Die sensomotorische Ebene, die spirituelle Ebene, die kognitive und die emotionale.

Diese Ebenen sind wiederum den Tierbildern zugeordnet. Diese lassen sich je nach Notwendigkeit anpassen, der Einfachheit halber bleiben wir aber in den Formen, welche das A.K.T® als Basis verwendet.

Die Tierbilder sind eng mit Assoziationen verbunden, welche unseren Urinstinkten entspringen. Basierend darauf erleichtert die Arbeit mit diesen, den Zugang auf grundsätzliche Lebensthemen. Jedes der vier Tiere verkörpert Aspekte, welche für uns leicht erkennbar und zuordenbar sind. Durch die Auseinandersetzung auf den vier Ebenen (wie oben bereits erwähnt), wird ein Ungleichgewicht der inneren Spannung spürbar und somit auflösbar bzw. aushaltbar.

Die vier Tiere helfen mit ein wenig Übung dabei sich selbst und andere zu betrachten. Es lässt sich fühlen, verstehen, erklären und akzeptieren, wo man im Leben aktuell steht. Ja und „stehen“ bedeutet mitunter auch „festsitzen“. Eine Auflösung von stagnativen und dysfunktionalen Prozessen, bedarf allerdings immer der Möglichkeit der äußeren Betrachtung und/ oder der gründlichen Selbstbefundung.

Die vier Tiere helfen uns eben bei diesem Vorgang und bieten gleichzeitig die Möglichkeit, Alternative Strategien zu entwickeln. Sie ergänzen sich im Idealfall zu einer Einheit. Der Bär, welcher zum Einen für Stabilität steht, kann auch zur Stagnation neigen. Er benötigt den Kranich um Ziele zu sehen und sie als Gruppe zu erreichen. Der Kranich wiederrum verliert sich mitunter in den Wolken und braucht etwas mehr Erdung, zu dieser kann ihm der Bär verhelfen. Der Tiger ist die Kraft der Umsetzung, aber auch der Ewige Jäger, der deshalb mitunter zum gejagten seiner eigenen Ziele wird. Er braucht die Übersicht des Kranichs und die Stabilität des Bären, um sich nicht auf der Jagd zu verlieren, wodurch die Gefahr besteht sich selbst oder andere versehentlich zu verletzen. Die Schlange schafft es sich an allen Problemen vorbei zu winden. Sie ist Meisterin darin, Dinge zu akzeptieren und sich von ihnen zu lösen. Allerdings braucht sie die Qualitäten der anderen drei um nicht ständig auf der Flucht zu sein. Die letzten Zeilen sind nur eine kurze Zusammenfassung der Qualitäten der Tierbilder und sollen sehr einfach veranschaulichen wie ein Zusammenspiel der Vier aussehen kann.

In der Betreuung von sehr herausfordernden Kindern und Jugendlichen, hat es sich gezeigt, wie hilfreich das Verständnis der oben beschriebenen Prozesse ist. Es ermöglicht zum einen ein adäquates „Hilfsich“ anzubieten, um KlientInnen zu begleiten, sorgt aber auch für eine Möglichkeit die eigene Stabilität im Betreuungsalltag zu erhalten bzw. zu verbessern.

Es gibt unzählige Tools für Reflexionen, Intervisionen, Fallbesprechungen, usw., welche uns helfen sollen zu verstehen was gerade passiert, oder passiert ist. Aber wenige dieser Tools stellen eine echte Hilfe dar, wenn es darum geht die eigene praktische Handlungsfähigkeit zu erhöhen. Nach psychosozialen Krisen versuchen wir zwar stets zu erkennen was, warum und wozu passiert ist, haben aber wenig Hilfsmittel um zu evaluieren „was hätte ich tun können“. Die gesetzten Interventionen entsprechen dem Bauchgefühl. Die Möglichkeit in Situationen zu erkennen, zu fühlen, zu benennen und zu akzeptieren wo mein Gegenüber gerade steht, ermöglicht es, mit etwas Übung, gezielte Beziehungsangebote zu setzen, oder paradoxe Interventionen zu gestalten, welche sich am Bedarf des anderen orientieren. Durch das klare Verständnis der Bedeutung der vier Tiere und deren Qualitäten, aber auch ihrer Schwächen, lassen sich präzise Wechsel in der Interventionsqualität herstellen. Von zu weich bis zu hart, von zu vermeidend bis zu konfliktfreudig, oder auch von zu schnell bis zu langsam, nichts lässt sich im Vorhinein als richtig oder falsch deklarieren. Es ist die Situation, mein Gegenüber und auch meine persönliche Verfassung die es zu erfassen gilt um adäquat darauf reagieren zu können. Genau hierbei helfen uns die vier Tier.